DIE LINKE gestalten. Herausforderungen einer Mitgliederpartei. — ein Problemaufriss, ein Diskussionangebot, ein Aufschlag dessen, was wir tun müssen als LINKE
von Antje Feiks und Thomas Dudzak
Vorweg: Dieses Papier erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch will es die einzig gültige Antwort auf die Fragen der zukünftigen Gestaltung unserer Partei sein. Es ist vielmehr ein Vorschlag und ein Diskussionsangebot. Es lebt – wie jedes Papier in einer pluralistischen Partei – davon, diskutiert, gelobt, zerpflückt, in Teilen verworfen und wieder vollkommen neu zusammengesetzt zu werden. Das Papier ist unsere gedankliche Ergänzung zum Entwurf des Leitantrages an die 2. Tagung des 14. Landesparteitag der LINKEN Sachsen, in dem entsprechende inhaltliche Vorschläge unterbreitet werden.
DIE LINKE in Sachsen hat sich seit der Parteineubildung 2007 stark verändert. Waren damals 13.280 Mitglieder im Landesverband organisiert, sind es heute rund 8.100 Genoss*innen im Freistaat Sachsen. Seit drei Jahren können wir, auch in Folge der zugespitzten politischen Auseinandersetzung im ganzen Land, Europa und der Welt, wieder deutlich mehr Neumitglieder begrüßen. Gleichwohl kann der Zustrom an Neumitgliedern die Anzahl der – meist altersbedingt begründeten – Austritte und Todesfälle unter den Genoss*innen (noch) nicht ausgleichen. Rund 2/3 der Neumitglieder treten dabei in den Stadtverbänden – hier insbesondere mit einem Fokus auf Leipzig – ein. Zwar profitieren auch die Kreisverbände von den Neueintritten, doch fällt die Entwicklung zwischen Stadt und Landkreisen zusehends auseinander.
Wir haben als Partei stets den Anspruch gehabt, politische Vertretung für ganz Sachsen zu sein. Wir haben uns bewusst nicht darauf konzentriert, uns auf Regionen mit stärkerer Verankerung und höheren Wahlergebnissen zu konzentrieren, sondern haben den Fokus darauf gelegt, als Landespartei besonders Regionen ins Auge zu fassen, in der die Verankerung vor Ort abnimmt. Gleichzeitig haben wir versucht, die Partei als Ort der Beteiligung für unsere Mitglieder – egal ob lange dabei oder gerade eingetreten – zu stärken.
So haben wir uns auf den Weg gemacht, ein neues Landesentwicklungskonzept als Nachfolge von ALEKSA zu erarbeiten, um Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen in den sächsischen Regionen zu finden – im Bewusstsein der Unterschiedlichkeit der Ausgangsbedingungen vor Ort. Wir haben zentrale Unterstützungsstrukturen für den ländlichen Raum geschaffen, sei es durch eine Unterstützung der Kreis- und Ortsverbände zur professionellen und unkomplizierten Materialerstellung und – logistik, sei es durch Unterstützung bei parteiinternen Formalien, sei es durch zentrale Touren oder Plakatierungs- und Materialverteilungsunterstützung in den Wahlkämpfen. Wir haben versucht, Diskussions- und Austauschräume auch für jene Genoss*innen zu schaffen, die eben noch nicht so tief in der Partei vernetzt und angekommen sind, damit auch diese ihre Ideen einbringen können. Wir haben versucht, Andockstellen zu schaffen, in denen Genoss*innen, die einen erschwerten Zugang zu klassischen Parteistrukturen haben, sich trotzdem am Partei- und Kampagnenleben beteiligen können. Darunter fallen unter anderem das Mentoringsprogramm, Praktika, der Tag der Mitglieder und regionale Wahlkampfschulungen. Und nicht zuletzt haben wir die Mitgliederarbeit qualifiziert.
Die Partei im Jahr 2017 ist nicht mehr die Partei, die wir 2007 gebildet haben. Sie hat sich nicht nur in der Mitgliedschaft, sondern auch strukturell, organisatorisch und inhaltlich gewandelt. Gleichzeitig stehen wir vor großen Herausforderungen, gerade im Hinblick auf die Ergebnisse der Bundestagswahl 2017. Auch in den Wahlergebnissen zeigt sich neben einem massiven gesellschaftlichen Rechtsrutsch ein deutliches Stadt-Land-Gefälle.
Dieses aber allein auf „Großstadt gegen den Rest“, ein einfaches Schwarz und Weiß zu reduzieren, greift viel zu kurz. Vielmehr zeigt sich der Freistaat in deutlichen Graustufen, in der auch Mittelzentren überdurchschnittliche Ergebnisse produziert haben. In einem „Speckgürtel“ der urbanen Zentren konnte DIE LINKE durchaus profitieren, im anderen jedoch schnitt sie unterdurchschnittlich ab. Im aktuell tief blau-schwarzen Landkreis Bautzen ragen Hoyerswerda und Kamenz deutlich aus den sonstigen Ergebnissen heraus.
Will man dennoch vereinfachen, lässt sich eine Faustregel festhalten: Je kleiner die Gemeinde, je geringer die quantitative Verankerung der Partei vor Ort, desto niedriger sind die Wahlergebnisse für die Partei insgesamt. Daraus folgt die Notwendigkeit, die Partei im ganzen Land, für alle GenossInnen, SympathisantInnen, AnhängerInnen und potentielle WählerInnen erleb- und gestaltbarer zu machen. Bis ins letzte Dorf hinein.
Die Situation, in der wir uns befinden und vor der wir stehen
Wir wissen seit Jahren, dass der politische Erfolg der Partei davon abhängt, ob wir den ländlichen Raum zurückgewinnen können. Ohne Zweifel zeigen die Kreisstrukturen dabei größte Anstrengungen. Die Landespartei hat diese Anstrengungen im Rahmen von Wahlkämpfen unterstützt. Das Bewusstsein für die Herausforderungen ist also vor allem in den ländlichen Regionen in Sachsen vorhanden. Das Wegsacken der Partei im ländlichen Raum konnten und können wir jedoch bisher nicht aufhalten.
Leider waren wir auch an Stellen nicht mutig genug, uns zu entscheiden, waren zu oft verhaftet in der Angst, dass Veränderungen von Strukturen mehr Gefahren als Möglichkeiten mit sich bringen könnten. Wir haben zarte Versuche gestartet, allerdings im Kollektiv kaum beschließ- und folglich mit Ressourcen untersetzbar. Radikale neue Ansätze werden in unserer Partei zu oft von Einzelnen statt von Strukturen getragen. Eigentlich wissen und postulieren wir doch aber immer: gemeinsam sind wir stärker. Bei der Entwicklung von Ideen und beim Bereitstellen von finanziellen Mitteln, beim Erarbeiten neuer Ansätze, die im Kollektiv am Ende immer einfacher und günstiger umsetzbar sind.
Unsere Fähigkeit zum solidarischen Diskurs hat enorm gelitten. Wir beschäftigen uns oftmals lieber mit Auseinandersetzungen im eigenen Schwarz-Weiß-Raster, denn mit der notwendigen inhaltlichen Auseinandersetzung über eigene Grenzen hinweg. Die Zeiten, in denen man im Vorfeld und auf Landesparteitagen offene und kontroverse Debatten mit Spaß und aus Überzeugung geführt hat, scheinen schon eine Weile vorbei. Seit einigen Jahren werden immer wieder aus Debatten aus machtpolitischen Gründen geführt.
Auch persönliche Fehden, die nicht dem pluralistischen Ansatz unserer Partei entsprechen, haben das Klima vergiftet. Wenn Siegen wollen zum Maßstab wird, tritt die politische Auseinandersetzung als Streit von Meinungen um die beste Idee in den Hintergrund. Eine Zusammenarbeit – auch und gerade in der Sache – über organisierte Kreise hinaus ist selten verbindlich möglich. Die Behauptung, die Mehrheit der GenossInnen würden dieses oder jenes wollen, ist gern geführtes Argument, aber bleibt im Kern nicht verifizierbar.
Wir dringen gesellschaftlich zu wenig und mitunter nicht glaubwürdig mit unseren Inhalten durch. Zu selten denken wir über die Bürger*innenzeitung, den Bürger*innenbrief oder die institutionalisierte Veranstaltung vor Ort hinaus. Dabei bieten sich gerade jenseits dieser Denkmuster Potentiale und – in gewisser Weise – die Geheimnisse der Stärke der Partei in der Vergangenheit. Die alte Partei ist nicht deswegen stark geworden, hat sich nicht deshalb über die massenmediale Ignoranz hinweggesetzt, ist nicht deshalb gewählt worden, weil wir so viele Zeitungen gesteckt haben. Es waren Genoss*innen vor Ort, die dies ermöglicht haben, indem sie die entsprechende Schlagkraft entwickelt haben und vielfältig zu tausenden als Multiplikatoren unserer Ideen unterwegs waren.
Viele unserer Genoss*innen heute dagegen sind überlastet. Kaum eine*r der Aktiven sitzt nicht in mindestens zwei Parteistrukturen. Neben Beruf, innerparteilichen Verpflichtungen, kommunalen Mandaten auch noch in Vereinen und Initiativen unterwegs zu sein, ist kaum leistbar. Auch hier müssen wir uns ehrlich machen. Wir brauchen eine Diskussion um die Prioritätensetzung, eine Debatte darüber, wer was macht und das auch objektiv kann. Das gegenseitige Verlassen auf die Ebene darunter oder darüber bringt uns in eine Sackgasse.
Klare Haltung in verständlicher Form statt Scheindebatten
Nicht nur im Vorfeld von Wahlen ist die erste Erwartungshaltung an die Partei eine Positionierung zu möglichen realistischen oder noch so unrealistischen Machtoptionen. Das Gespenst von Rot-Rot-Grün, bisher angesichts der Übermacht der sächsischen CDU und der unklaren Haltung potentieller BündnispartnerInnen reine Schimäre, denn tatsächliche Gestaltungsoption, müssen wir nicht auf Abruf diskutieren. Eine Partei sollte vor allen Dingen auf ihre eigene Stärke bedacht sein und nicht vordergründig in Bündnissen denken. Eigentlich ist das eine Binsenweisheit.
Und dennoch: Gerade in Sachsen, im Kernland der rechtspopulistischen Auseinandersetzung der letzten Jahre, sind wir vor allen Dingen erst einmal Haltungspartei. Man wählt uns nicht aus machtpolitischen Überlegungen, sondern aus programmatischer Überzeugung. Die Rolle als Protestpartei kann uns nach 27 Jahren im Parlament, wenn auch in der Opposition, mit Ausnahme einer kurzen Renaissance mit dem sozialen Protest gegen die Hartz-IV-Reform, schwer zukommen.
Gerade deshalb ist es für uns notwendig, nicht nur auf gesellschaftlichen, progressiven linken Protest zu hoffen und an diesen anzuknüpfen. Wir müssen als „Überzeugungspartei“ auch konkrete linke Visionen anbieten, die anknüpfungsfähig an die Lebensrealitäten der Menschen in den unterschiedlichen Regionen sind. Hierbei gilt, dass je einfacher, je näher eine solche Erzählung, wie DIE LINKE das Leben der Menschen in ihrem Umfeld konkret verbessern kann und will, an der Lebensrealität der Angesprochenen ist, desto überzeugender wird sie sein. Niemand, der nach acht Stunden von der Arbeit kommt, wird sich hinsetzen, und dutzende Seiten zu Renten- oder Steuerkonzeption der Partei lesen.
Wir müssen lernen, ausgefeilte und richtige Gedanken in ein verständliches Format zu transferieren und jedem Genossen und jeder Genossin für die tägliche Argumentation, egal ob im Sportverein, beim Nachbarschaftstreff oder in der Bäckerschlange, zur Verfügung stellen.
Solche Formate müssen nicht den Anspruch auf 100%ige Vollständigkeit erheben, müssen nicht jede Eventualität abdecken, zu der wir gerne neigen, sie mitzudenken. Sie darf nur nicht falsch sein. Dazu gehört auch das Eingeständnis, dass unsere Position als Oppositionspartei in Sachsen es uns eben nicht ermöglicht, dicke Bretter zu bohren und schnelle Lösungen für die Menschen im Land anzubieten. Die oft geäußerte Enttäuschung, man habe uns nun so oder so oft gewählt, geändert hätten wir aber am Ende auch nur nichts, resultiert hier aus einem falschen Bild unserer Fähigkeiten und unserer Position im Parteiensystem, das auch wir mit genährt haben.
Vielmehr müssen wir deshalb in den Mittelpunkt stellen, dass wir uns in einem fortwährenden Kampf gegen die bestehenden und von anderen gestalteten Verhältnisse befinden, in dem wir gemeinsam mit den Menschen um andere Mehrheiten, um Hegemonie, um Druck gegen diese aus unserer und ihrer Sicht falsche Politik kämpfen. Es geht um nicht weniger als die Schaffung und Verstärkung eines linken Lebensgefühls.
Innerparteiliche Demokratie stärken
DIE LINKE ist eine Partei mit basisdemokratischem Anspruch. Dagegen steht jedoch vielerorts gewachsene – und in ihrer Funktion sinnvolle – Parteihierarchie, die trotz ihrer Notwendigkeit die Zugänglichkeit der Partei für viele Genoss*innen und Sympathisant*innen erschwert. Während die einen mit parteilichen – zumeist ehrenamtlichen – Aufgaben überhäuft sind, finden andere keinen Zugang zur inhaltlichen und politischen Beteiligung in der Partei. Wir können auf gewisse Strukturen als Partei nicht verzichten, da sie notwendig sind für die innerparteiliche Organisation. Daher muss es uns darum gehen, diese Strukturen um Beteiligungsmöglichkeiten und Prozesse zu ergänzen, die möglichst viele Genoss*innen tatsächlich einbindet, ohne dass wir jetzt sofort wieder große und unbewegliche Strukturreformprozesse ins Auge fassen müssen.
Dazu gehört der Ausbau von Beteiligungsmöglichkeiten wie dezentrale Veranstaltungsformate, Workshops zu unseren Themen und Schwerpunkten, als Resonanzraum der Basis und als Ideenpool für die Gesamtpartei. In der Diskussionsphase des Bundestagswahlprogramms haben wir dies erprobt und sollten solche Formate in Zukunft kleinteiliger und dezentraler auch zwischen den Wahlen durchführen.
Dazu gehört auch ein Ausbau des Wissenstransfers innerhalb der Partei. Inhaltliche wie organisatorische Wissenshoheiten müssen wir abbauen und in einem geeigneten Schulungsrahmen an mehr Genoss*innen weitergeben. Bei der inhaltlichen Weiterentwicklung der Programmatik der Partei dürfen wir uns nicht weiter vorhandenem Organisationswissen verschließen: In der Partei finden wir viele Expert*innen für unterschiedlichste Themenbereiche, die bisher zu selten in die Erarbeitung und Fortentwicklung unserer Politik einbezogen werden. Wir sollten uns nicht davor scheuen, lose und kurzlebige Denkwerkstätten für konkrete politische Projekte aufzustellen und deren in einem offenen und für alle Wissensträger*innen – in und außerhalb der Partei – zugänglichen Prozess erarbeiteten Ergebnisse in unsere Arbeit einfließen zu lassen. Damit erhöhen wir gleichzeitig die Durchlässigkeit unserer Strukturen für engagierte GenossInnen der Basis.
Neben diesen Aspekten der notwendigen Öffnung des innerparteilichen Diskurses sollten wir auch bei der innerparteilichen Entscheidungsfindung verstärkt auf die Kompetenz unserer Mitglieder setzen. Es spricht nichts dagegen und steht einer sich basisdemokratisch verstehenden Partei gut an, wesentliche inhaltliche, organisatorische und personelle Fragen in Mitgliederentscheiden und –befragungen zu klären. Hierfür müssen wir diese Mittel innerparteilicher Demokratie in unserem Landesverband zum Alltag machen und Prozesse kreieren, wie wir diese in unserm täglichen Parteienleben integrieren und leben wollen.
Nicht zuletzt steht die Partei vor der Aufgabe, zahlreiche neue Mitglieder, aber auch Sympathisant*innen, die ohne Parteibuch an der politischen Willensbildung in diesem Land mitwirken wollen, zu integrieren. Seit einigen Jahren ziehen wir hunderte zumeist junge Menschen im Land an, die sich aktiv als Mitglied in die Partei einbringen wollen. Viele weitere Menschen wollen sich für die Partei engagieren, ohne gleich Mitglied zu werden.
Gleichzeitig sind die regionalen Strukturen zur Integration und Betreuung von Mitgliedern und Sympathisant*innen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wir sollten daher neue Projekte wagen, wie wir überregional, aber eben nicht zwingend zentral, diese Integration leisten können. Ein „Buddy“-Programm bspw., also eine Vermittlung von Neumitgliedern und Sympathisant*innen an Genoss*innen, die an der Basis, in Verbänden oder in LAGs engagiert sind, die thematische oder andere Interessenüberschneidungen mit den „Neuen“ haben und letztlich nicht nur „zu Betreuende“, sondern wirklich MitstreiterInnen in der Parteiarbeit suchen, wäre so ein Projekt. Hier müssen wir Mittel und Wege finden, wie wir so ein Programm vernünftig aufs Gleis stellen könnten. Formate wie das Mentee-Programm, die Sommerakademie, Wahlkampfworkshops oder der Tag der (Neu-) Mitglieder sollten, auf breitere Basis gestellt, als organisatorisches Bildungs- und Integrationsprogramm in evaluierter und fortentwickelter Form fortgesetzt werden.
Bei inhaltlichen Debatten müssen wir die Hierarchien zwischen Land, Bund und Kreisen wieder stimmig gestalten. Als Landesverband waren wir in einigen Bereichen in den letzten Jahren zu zurückhaltend, was das Vorantreiben programmatischer Debatten auf Bundesebene anbelangt. Aber auch in Sachsen hat sich mancher zu sehr auf die Landespartei verlassen, wenn im Rahmen von Antragsdebatten lediglich Kleinigkeiten geändert werden, im Nachgang jedoch möglichst breit von eben jenen kritisiert wurde, der Leitantrag des Landesparteitages sei „sinnlos“ gewesen oder aber das Wahlprogramm hätte ganz anders aussehen müssen.
Es gibt nur einen Weg, sich in inhaltliche Debatten einzubringen, egal auf welcher Ebene. Das ist das aktive Mitgestalten. Das kostet Zeit und erfordert Kompromissbereitschaft, ist aber notwendig. Wenn eine Ebene auf Konsens setzt, muss die andere Ebene treiben. Wenn eine Ebene zu weit vorprescht, muss die jeweils andere korrigieren. Nicht durch Produzieren von diametralen Gegensätzen, sondern schon bei der Begleitung der Prozesse und das in aller Sachlichkeit. Dazu gehört auch die Akzeptanz von Mehrheiten und Minderheiten. Der letzte Bundesparteitag hat bei der Debatte zur „Republik Europa“ deutlich gezeigt, dass auch aus einer Minderheitenposition Diskurse angeschoben und konstruktiv begleitet werden können.
Solidarität zwischen Stadt und Land
DIE LINKE hat keine politische Zukunft und keinen Gestaltungsanspruch im Land, wenn sie sich auf die urbanen Zentren allein konzentriert. Natürlich müssen wir als Partei unsere Verankerung dort stärken, wo wir bereits stark sind. Das steht jedoch nicht im Widerspruch zur Stärkung auch und gerade schwächerer ländlicher Gebiete. Die Ergebnisse der Bundestagswahl wie zuvor schon der Landtagswahlen führen uns vor Augen, dass DIE LINKE mit einer erheblichen Schwäche im ländlichen Raum konfrontiert ist. Dies resultiert auch aus der zunehmenden organisatorischen Schwäche der Kreisverbände, welche die zunehmende Aufgabenlast mit immer weniger GenossInnen wegtragen müssen. Das ist nicht die Schuld der Kreisverbände und hier muss man sie vor falschen Schuldzuweisungen in Schutz nehmen. Gleichzeitig wissen wir, dass wir in diesen Gebieten keine Genoss*innen, die vor Ort Präsenz zeigen und Aufgaben übernehmen können, irgendwie backen könnten.
Ein Büro in der Fläche allein macht noch keine präsente Partei. Daher geht es darum, Lasten anders und auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Was wir mit zentralen Unterstützungsangeboten im Wahlkampf ausprobiert haben, muss sich zu dauerhaften, auch dezentralen Kooperationen zwischen Stadt und Fläche herausbilden. Dabei ist zu betonen: Auf Augenhöhe! Denn gerade wenn wir sehen, dass im ländlichen Raum, auch in den Mittelzentren, in den Städten in ehemaligen Hochburgen Stimmenpotentiale abnehmen, also dort, wo wir in der Vergangenheit einen Gutteil unserer Zustimmung eingefahren haben, dann ist dies ein Gebot der innerparteilichen Solidarität.
„Kampf um die Dörfer“
Wir müssen uns nichts vormachen: DIE LINKE war in kleineren Gemeinden im Freistaat schon immer schwächer aufgestellt als in Städten und Großstädten, sieht man von einigen Ausnahmen ab. Ein Beispiel: Unsere schlechtesten Ergebnisse der Partei in den Zweitstimmen zur Bundestagswahl erreichten wir mit deutlich einstellig in kleinen Gemeinden des ländlichen Raums, in klassischen dörflichen Strukturen. Hier haben wir teilweise noch einmal erheblich an Zustimmung verloren. Allerdings, und das gehört zur Wahrheit dazu: In solchen Gemeinden erzielten wir auch in der Vergangenheit sehr häufig Ergebnisse knapp über oder unter der Zweistelligkeit weit jenseits des Landesschnitts.
Dörfliche Strukturen funktionieren, noch einmal eine Binsenweisheit, deutlich anders als Großstädte oder urbanisierte Gemeinden. In kleinen Dörfern kennt man sich, es gibt eine andere soziale Grundlage der Interaktion, eine größere Solidarität miteinander, eine Verschworenheit und nicht zuletzt auch deshalb ein sich ähnelndes Wahlverhalten. Es ist nicht einfach, in genau solche dörflichen Strukturen einzudringen und vor allen Dingen durchzudringen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass, selbst wenn eine Familie schon seit drei Generationen in einem Dorf wohnt, sie zumeist weiter als die Zugezogenen gelten. Eilig ausgewiesene Neubausiedlungen Anfang der 90er werden in dörflichen Strukturen oftmals als Fremdkörper wahrgenommen. Gleichzeitig brechen genau dort Orte der Begegnung oder der Identifikation mit der Gemeinde weg. Die Schule, die aus dem Dorf geht, der Bäcker, der Einkaufsladen oder die Kneipe werden als ernste Verluste wahrgenommen, die am Selbstbewusstsein dieser dörflichen Strukturen kratzen. Ist das Folge von landespolitischen Entscheidungen oder – durch (Zwangs-) Eingemeindungen bspw. verursachte – kommunale Fremdbestimmung, dann entfremdet das solche Gemeinschaften von diesen Institutionen. Es lässt Groll auf diese wachsen und eröffnet ein leichtes Spiel für eben jene Kräfte, die für sich selbst behaupten, nicht Teil des als aggressiv und in den eigenen Stolz hinein agierenden staatlichen Kraft zu sein. Wenn diese dann noch einfache Lösungen anbieten, und seien es die vor Ort nicht existenten Geflüchteten, die alles bekämen, der Ort jedoch nicht einmal seinen Bäcker halten kann, hat linke Politik kaum mehr Anknüpfungspunkte.
In Dorfchemnitz hat es nur eine einzige politische Partei geschafft, sich öffentlich sichtbar und ansprechbar zu präsentieren: Die AfD mit einer Veranstaltung in der lokalen Kneipe. Auch das bleibt in einem solchen Ort hängen und wird vielfach in dörflichen Strukturen multipliziert.
Traditionell sind linken Parteien dörfliche Umfelder fremd geblieben. Doch auch für diese Menschen haben wir Themen, Ideen und Lösungen anzubieten. Anknüpfend an ihre Lebensrealitäten. Diese zu vermitteln – und zwar fernab institutionalisierter Veranstaltungen und Besuche – durch direkte Konfrontation mit unserer puren Existenz, nicht zwingend mit vorgefertigten Lösungen, aber mit einem offenen Ohr und auch der Bereitschaft, Paroli zu bieten, wäre ein möglicher Ansatz, um auch in diesen gesellschaftlichen Gruppen wieder stattzufinden.
Gesicht und Präsenz zeigen in der Dorfkneipe, beim Bäcker, beim Blumenhändler usw. usf., den Leuten zuhören, aber nicht nach dem Munde reden können wir schaffen. Nicht die Kreis- und Ortsverbände, nicht die ehrenamtlichen GenossInnen alleine. Hier könnte ein Fokus zukünftiger professioneller politischer Arbeit vor Ort und im Wahlkreis liegen. Dies auszuprobieren, zu experimentieren und uns über die Erfahrungen auszutauschen sollte unser Anspruch sein.
Die Aufgabe, die vor uns steht
Wir müssen uns leider darauf einstellen, dass DIE LINKE keine kurzfristigen Optionen hat, um die strukturellen Schwächen, die die Partei seit Jahrzehnten erlebt, die aber in den letzten Jahren immer deutlicher zu Tage treten, beenden zu können. Unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen müssen wir auch zur Landtagswahl 2019 erwarten, dass sich diese Entwicklung vorerst nicht völlig aufhalten lässt. Wir als LINKE brauchen einen langen Atem.
Aber: wir können es anpacken. Und zwar grundsätzlich. Und uns mit Mut dieser gewaltigen Aufgabe stellen. Wir sind aufgeschlossen für jede Idee, die diesen Weg verkürzt, die kurzfristig Erfolge verspricht. Wahrscheinlich müssen wir uns jedoch eher auf einen langen und in Teilen schmerzhaften Anpassungsprozess einstellen. Wer glaubt, wir könnten binnen zweier Jahre eine vollkommene Wende eines Prozesses, der uns bereits seit drei Jahrzehnten begleitet, herbeiführen, erliegt einem Trugschluss. Wir haben einen weiten Weg vor uns. Und wir müssen kämpfen!
DIE LINKE muss eine Partei sein, die mit ihren Mitteln und hier vor Ort Werte und Positionen der Solidarität, der Demokratie und des Humanismus in der Gesellschaft mehrheitsfähig macht. Das ist unsere Aufgabe in den kommenden Jahren. Es ist der Anspruch, den wir uns selbst und unseren WählerInnen schuldig sind.