Da ist sie wieder, unsere verdammte Angepasstheit — oder #notmypresident
Antje Feiks, Landesvorsitzende und Thomas Dudzak, Landesgeschäftsführer zur Diskussion und den Ergebnissen, wie wir als LINKE in Sachsen mit der Wahl des neuen Ministerpräsidenten umgegangen sind
Nachdem Tillich seinen Rücktritt als Ministerpräsident verkündet hat und Michael Kretschmer als seinen Nachfolger vorschlug, fingen die Debatten innerhalb unserer Partei gut an. Wirklich!
Der Fraktionsvorstand der Linksfraktion im Landtag erweiterte seine Sitzung um alle Fraktionsmitglieder und es wurde gestritten und gerungen, wie wir mit der Ansage der CDU umgehen wollen. Die Bandbreite der Vorschläge war weitreichend und vielversprechend:
- einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken (aus den eigenen Reihen, überparteilich — mit Tendenz zu überparteilich),
- jemanden anderes aus den Reihen von SPD und CDU vorschlagen,
- mit der SPD reden, weil für die Kretschmer ja auch ein Dilemma sein könnte,
- wenn kein eigener Kandidat zur Wahl steht, als Fraktion den Saal verlassen oder zur Vereidigung,
- eine Transpiaktion,
- die Bürger*innenzeitung inhaltlich umstricken,
- …
Der Landesvorstand diskutierte ähnlich auf seiner Klausur. Und ja, wir hatten Hoffnung, dass wir diesmal unsere Chance nutzen. Mutig sind. Dass uns egal ist, was andere Fraktionen und Parteien denken, dass wir versuchen, das zu tun, was unsere potentiellen Wähler*innen und Partner*innen, ja, was wir selbst von uns erwarten.
Und ja, wir haben allen Grund dazu Kretschmer nicht zu akzeptieren. Jemanden, der zur Bundestagswahl als Kandidat den Stuhl vor die Tür gesetzt bekommen hat, zum MP zu machen, ist schon allein ein Unding. Kretschmer ist zudem Teil des Kurses der CDU, mehr noch, hat ihn maßgeblich gestaltet als Generalsekretär in den letzten Jahren. Er ist länger im Amt als Tillich. Wir haben in Sachsen eine CDU, die so weit rechts ist, wie nirgends sonst in der Bundesrepublik und AfD-Positionen ohne Not übernimmt, in der Hoffnung, Wähler*innenstimmen zu bekommen und somit sich selbst zu retten. Und Kretschmer ist der oberste Repräsentant dieses Rechtskurses. Wutbürgers Liebling.
Der 24. September, die Bundestagswahl, hätte für alle demokratischen Parteien einen Zeitpunkt des Umdenkens zur Folge haben müssen. In Sachsen drei AfD-Direktmandate und die AfD vor der CDU stärkste Partei. Ergebnisse verfehlter Politik. Nirgends sonst klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie hier in Sachsen. Wir haben den Landkreis mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen bundesweit. Tausende Kinder leben in Armut. Durch den Ausverkauf öffentlichen Eigentums, hat sich die CDU und damit den Freistaat der politischen Handlungsfähigkeit beraubt. Ebenso durch die Funktional- und Verwaltungsreform, die selbst vor Ort zu einer Entkopplung von Politik und Alltag forciert hat. Kommunen und Kreise haben kein Geld, damit keine Handlungsmöglichkeiten oder nur ganz wenige. Demokratie findet nicht mehr statt.
Das und vieles mehr, was die CDU mit wechselnden Partner*innen seit der Wende ‚aufgebaut‘ hat, führt dazu, dass Menschen deutlich machen, dass Politik sich ändern muss.
In unserer Partei scheinen das Viele begriffen zu haben, wir haben genau das auch auf dem Landesparteitag diskutiert und begonnen. Nur leider scheitern wir wieder an unserer verdammten Angepasstheit.
Ja, wir hätten uns mehr gewünscht als eine Transpiaktion. Sind aber gleichzeitig froh, dass wenigstens die stattgefunden hat.
Eine*n eigenen Kandidat*in, das gehört zu Wahrheit dazu, haben wir nicht gefunden. Trotzdem, wir hätten wenigsten von unserem Vorschlagsrecht Gebrauch machen können und eine Person aus den Reihen der Koalition vorschlagen können, die zumindest den Eindruck vermittelt, begriffen zu haben, um was es in Sachsen geht. Und es gibt einige wenige auch in den Reihen der CDU und SPD, denen man das nicht absprechen kann. Zumal wir damit zur Kenntnis genommen hätten, dass es nun mal eine Mehrheit im Landtag gibt, aber auch unsere Punkte hätten machen können in der Frage, was notwendig ist in Sachsen.
Gegenargumente waren u.a.: ‚Damit stärken wir die CDU oder SPD oder eine Person aus deren Reihen‘, ‚damit schwächen wir die vorgeschlagene Person vielleicht‘, ‚vor einem Vorschlag muss man die Person fragen, ob sie das will‘, ‚damit machen wir uns lächerlich‘. Im Fraktionsvorstand zeichnete sich eine Pattsituation ab, also die Hälfte für die Idee, die andere Hälfte nicht. Vermutlich wäre das Ergebnis in der Fraktion nicht anders gewesen.
In der Fraktionssitzung selbst haben wir gestern in Anbetracht der Tatsache, dass noch eine zweite Transpiaktion zu erwarten war, diskutiert, bei der Wahl des MP oder aber bei dessen Vereidigung den Raum zu verlassen. Wir finden, dass wir allen Grund dazu haben. Wir als Oppositionspartei werden im Parlament null gewürdigt. Jeder Antrag wird mit an den Haaren herbei gezogenen Argumenten von CDU und SPD weggebügelt. Die CDU tut so, als ob Sachsen ihr gehören würde.
Und bei uns kommen in der Fraktionssitzung Argumente wie: ‚Ich wurde von Bürger*innen nicht ins Parlament gewählt, um vor Abstimmungen wegzulaufen‘, ‚Die Würde des hohen Hauses wird damit verletzt‘. Und da fehlen uns die Worte: Wir haben keine wirkliche Wahl in der MP-Frage, die CDU begreift nicht, Sachsen soll Fressen und Sterben. Das geht doch so nicht. Und wir mittendrin.
Die Abstimmung zum Verlassen des Raumes zu irgendeinem Zeitpunkt (Wahl oder Vereidigung MP) ging mit 5 Ja-Stimmen, 8 Nein-Stimmen und vielen Enthaltungen aus. Unter anderem auch darum, weil schon vor der Abstimmung gerufen wurde, dass man dabei nicht mitmacht.
Wenn wir nicht deutlich machen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass die CDU den MP stellen muss, wer dann? Wie wollen wir denn unsere Punkte machen, wenn wir solche Möglichkeiten an uns vorbei ziehen lassen? Die Möglichkeit zumindest deutlich zu machen, dass es auch anders geht. Vielleicht hätten wir sogar Partner*innen gefunden, mit den gemeinsam etwas gegangen wäre.
Vor und auf dem Landesparteitag wurde viel davon geredet, die CDU mehr zu treiben. Tja, wir sind ja nun echt keine Freund*innen dieser Formulierung. Aber: Durch Mitmachen beim parlamentarischen Possenspiel wird das ganz bestimmt nichts.
Natürlich wurde der Auftrag des Landesvorstandes aufgenommen, nach Kandididat*innen zu suchen. Nur war diese Suche nicht erfolgreich. Okay. Aber es wurde versucht. Jetzt, nach all den Debatten sind wir sehr froh, dass niemand zugesagt hat. Zumal es alles Menschen von außerhalb der Partei waren, die angesprochen wurden. Vermutlich wäre es peinlich geworden.
Festzuhalten bleibt, dass es die Partei – und damit sind nicht ihre Organe, sondern vor allem auch die Vielzahl ihrer Mitglieder gemeint — braucht, um gemeinsam mit unseren Abgeordneten egal ob im Land oder Bund, aus den eingetrampelten Pfaden und Mustern rauszukommen. Wir müssen Wege finden, auf solche wichtigen Ereignisse mutig und klug zu reagieren und im Ergebnis mehr tun als ein Schild hochzuhalten. Wir müssen Möglichkeiten finden, dass nicht die Landtagsfraktion entscheiden muss, was zu tun ist, sondern die Partei hier schneller und breiter zu einer Willensbildung kommt und diese als Anforderung auch artikuliert.
Wir können nur darum bitten, dass wir hier gemeinsam lernen und dass wir innerparteilich einen Weg dafür finden. Ein erster Schritt unsererseits ist, transparent zu machen, was passiert ist.
Wir haben an verschieden Stellen gekämpft und wollen unseren Job besser machen. Dafür brauchen wir Euch, die Partei. Alte Verhaltensmuster zu durchbrechen, ist ein steiniger Weg. Wir halten es allerdings für notwendig, dass wir genau das schaffen.
Zum Schluss, weil das wichtig ist: Wir wollen uns ganz herzlich bei all den Abgeordneten in der Landtagsfraktion bedanken, die Vorschläge unterbreitet haben und die auch bereit gewesen wären, unkonventionelle Wege zu gehen. Allein die Ideen und die Bereitschaft, die es gegeben hat, waren großartig.