Der Brexit und was wir dazu meinen — aktuelle Debatte im Sächsischen Landtag
Wir hatten am Mittwoch, dem 30.1.2019 im Sächsischen Landtag eine aktuelle Debatte (die Koalition aus CDU und SPD hatte diese beantragt) zum Thema Brexit und seine Auswirkungen auf Sachsen. Da man immer nicht weiß, auf was die beantragenden Fraktionen mit diesen Debatten hinaus wollen, ist die aktuelle Debatte ohne vorbereitetes Redemanuskript zu führen. Freie Rede steht in der Geschäftsordnung. Allerdings gehen die meisten Abgeordneten mit Notizen in die Diskussionen um ihre Punkte zu machen.
Ich durfte die ersten fünf Minuten für meine Fraktion bestreiten. Es war meine erste aktuelle Debatte, die ich bestreiten durfte. Danke an Enrico Stange, der sich mit mir eingeteilt hat und meiner Fraktion für das Vertrauen. Das habe ich gesagt. (Ich habe im Protokoll der wunderbaren Landtagsstenografen geklaut ;-)):
Anrede,
Seit 2016 wurden in Europa Chancen verpasst. Vor und nach der Entscheidung zum Brexit. Was die demokratische Kultur anbelangt, aber auch, was Teilhabe und Informationen angeht. Deshalb müssten Bürgerinnen und Bürger mit dem neuen Kenntnisstand, den es mittlerweile, in GB neu befragt werden; ein zweites Referendum muss her.
Dafür müssten dann eigentlich Expertinnen und Experten ran, die klar und verständlich Konsequenzen der Entscheidungen darlegen, weil wir Folgendes gesehen haben:
Beteiligung funktioniert nur, wenn klar ist, über was man entscheidet.
Was aber ist passiert? Vier Jahre lang gab es kaum Einbindung aller Beteiligten, auch nicht im Parlament. Das Ergebnis hat nicht nur die Premierministerin, sondern haben wir alle zu tragen.
Wir kennen das im Grunde genommen auch nur zu gut aus Sachsen: zu wenig Debatten, kaum Einbeziehung gegenteiliger Auffassung. Dabei ist es doch genau Aufgabe von Politik, dass man um die bestmögliche Idee ringt und das Beste herauszuholen versucht.
Wahrscheinlich ist jetzt ein Austritt Großbritanniens ohne Abkommen. Das ist eine politische, aber auch ökonomische, vor allen Dingen aber eine soziale Katastrophe. Für ganz Europa.
In Sachsen Schaden nicht vorhersehbar. Es wurde vorhin von Herrn Schiemann von “Spuren in der Wirtschaft” gesprochen.
Schauen wir auf Handelsbeziehung. Eigentlich reichen den sächsischen Unternehmen schon die Russland-Sanktionen, nun kommt aber auch noch der Brexit.
Großbritannien ist der drittgrößte Handelspartner sächsischer Unternehmen. 350 Unternehmen exportieren ins Vereinigte Königreich: das bedeutet, jeder fünfte Betrieb.
Damit bangen schon wieder Arbeitnehmer*innen um ihre Jobs und ihre Zukunft.
Neben dem wirtschaftlichen Schaden ist bei einem kalten Brexit der moralische Schaden immens. Und es geht auch schon lange nicht mehr nur um den Brexit.
Denn das Referendum war für viele Britinnen und Briten eine Chance, ihrem tief verankerten Misstrauen gegenüber dem politischen Establishment Ausdruck zu verleihen.
Wir sprechen viel zu wenig über die wahren Gründe, warum auch in Deutschland und in ganz Europa nicht wenige Menschen Nazis und Rassisten wählen oder wie z.B. Donald Trump in den Vereinigten Staaten Präsident werden konnte.
Wo wurde am meisten für Brexit gestimmt? In den früheren Industriearbeiterbezirken.
Wir durchleben eine globale strukturelle Transformation, die unser Wirtschaftssystem stark verändert. Politik weigert sich beharrlich, über die Verteilungswirkungen der Globalisierung und der Automatisierung zu reden. Die Menschen fühlen sich alleine gelassen. Aber wir müssten als Politiker*innen diejenigen sein, die ehrlich sagen, was hier passiert. Vielleicht auch zugeben, dass wir nicht für alles sofort eine Antwort haben.
Aber das alles, ohne Angst zu machen wie die da drüben.
Mal ehrlich, wer hat denn hierbei Lösungen und tragfähige Konzepte? Auch hier im Haus wird wir viel lieber über Migration, Identität und wie man das Land am besten verwaltet. Wir müsse aber endlich beginnen, gemeinsam Visionen zu entwickeln, wie ein Gesellschaft in einem postindustriellen Zeitalter aussehen kann.
Das gilt selbstverständlich auch für Sachsen — für die Lausitz genauso wie für Nordsachsen.
Dazu gehört, ehrlich zu sagen, dass Jobs nicht zurückkommen, auch wenn wir Handelsbarrieren errichten, Migration einschränken — Mauern keine Lösung; virtuell noch im realen Leben.
Globale Veränderung lässt sich nicht aufhalten, aber wenn wir das gemeinsam wollen lässt sie sich gestalten. Darüber müssen wir diskutieren. Wir müssen die Vorteile der Globalisierung gerechter verteilt werden. Wenn wir das nicht hinbekommen, wird Polarisierung in Politik und Gesellschaft weiter zunehmen!
Die Frage, die wir heute auf allen Ebenen beantworten müssen, ist: wie kann man Zusammenhalt schaffen, statt Spaltung weiter Raum zu geben.
Hoffnung gibt es meiner Meinung nach trotzdem in dieser verfahrenden Situation.
Erstens Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Gestalten wir ihn — und zwar sozial!
Zweitens können wir die Chance nutzen. Es wird gerade über den Brexit gesprochen. Sprechen wir über die Vorteile der EU für jeden Einzelnen, statt sie immer wieder zum Buhmann zu machen, wenn national etwas nicht läuft.
Drittens hinterfragen wir die Exportorientierung Sachsens. Ist es nicht sinnvoller in Binnenmärkte zu investieren? Stichwort “Regionale Wirtschaftskreisläufe”.
Viertens: Verteilen wir den Reichtum besser und kümmern wir uns um die Schwachen.
Wir haben alle die Aufgabe, in unsere Parteienfamilien hineinzuwirken, dass es vielleicht nicht zum Schlimmsten kommt.
Erste Vorschläge wurde bereits gebracht, wie man mit dem Brexit auch hierzulande umgehen kann. Mein Kollege Enrico Stange wird dann fortsetzen.